Endlich kommt er, der dritte Teil der Artikelreihe über mein Studium. Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich schreiben will, was nicht. Worüber ich sprechen möchte und wie ich das am Besten verpacke. Mittlerweile ist mein Masterabschluss schon fast ein Jahre her. Nun geht es weiter…
Den letzten Artikel habe ich beendet kurz vor meinem Bachelorabschluss 2019. Eine sehr interessante und spannende Zeit! Ich hatte meine ersten Probespiele hinter mich gebracht und einen sehr schönen Soloabend gespielt. Die Vorbereitungen für meinen Bachelorabschluss waren etwas Nervenaufreibend, denn ich habe kurz vor meinem Abschluss mit meinem Professor das gesamte Programm umgestellt! Ich hatte mich (wie immer) schon frühzeitig auf den Abschluss vorbereitet und ein bestimmtes Programm im Kopf, was ich auch erarbeitet habe. Wir merkten allerdings beide, dass es nicht „mein Programm“ war und es da etwas Nachholbedarf gab. Also stellten wir es um. 6 Wochen vorher …
Das Solostück „The Panic Flirt“ von Delgado, lernte ich sogar in nur 14 Tagen, denn die Noten hatten Lieferverzögerung. Was ich in dieser Zeit gelernt habe? Ich kann verdammt gut und schnell zeitgenössischer Werke erarbeiten. Das geht ja nicht jedem so, da ich aber auch mega Bock hatte und die Spieltechniken bereits alle verinnerlicht hatte, ging das. Ich war drei Wochen vor meinem Bachelorabschluss in Montepulciano mit einem Neue Musik Ensemble. Eine ganz besondere Woche und gleichzeitig eine der härtesten, die ich flötistisch je hatte. Ich bin über jede meiner körperlichen und mentalen Grenzen gegangen, was ich nicht unbedingt empfehlen kann nachzumachen! Ich habe in dieser Woche das Duo mit meinem noch heutigen Duopartner Valère Burnon gegründet, wir haben uns dort so richtig angefreundet und gemerkt, dass wir auf der exakt gleichen Welle schwimmen. Das „Duo di Montepulciano“ heißt aus oben genannten Gründen, wie es heißt 🙂




In der Woche in Montepulciano hatte ich sehr viel zu tun. Sehr viel! Ich war die einzige Flöte und gefühlt bei jedem Stück dabei. Was dazu führte, dass ich Probe hatte von 9.00 Uhr bis 19.00/20.00 Uhr. Natürlich mit einer Mittagspause und kleineren Pausen dazwischen. Aber das 6 Tage lang mit fast ausschließlich Neuer Musik (wir spielte dort auch drei Uraufführungen), mal abgesehen vom Flötenquartett in D-Dur von Mozart (was nun auch nicht gerade chillig ist für Flöte), das war schon harter Tobak! Ich lernte in der Woche wahnsinnig viel und habe mich auch sehr gefreut, so viel neue Werke kennen zu lernen. Trotzdem ging ich gen Ende der Woche auf dem Zahnfleisch und musste vor allem sehr auf meine Hände aufpassen. Ich sag ja – bitte nicht nachmachen!
Als ich dann zurück war ging die letzten zwei Wochen von meiner Vorbereitung los und die Durchläufe. Das muss ich vielleicht erklären. Mein damaliger Bandleiter und heutiger Podcastpartner Manuel Hilleke, sagte mir vor einigen Jahren: „Für so ein Abschlusskonzert gibt es eine Regel: Dein größtes Problem sollte sein, wo das kalte Bier danach ist. Also macht so viele Durchläufe mental wie aktiv, wie du nur kannst.“
Das habe ich befolgt. Ich machte vor meinem Abschlusskonzert insgesamt 17 Durchläufe. Am Tag meines Bachelorkonzerts steckte ich mir das Ziel, meine Energie den ganzen Tag zu zentrieren bis abends um 19.30 Uhr. Auch das gelang mir. Ich ging um 19.30 Uhr auf die Bühne und glühte förmlich – nicht vor Aufregung, sondern vor Energieladung – und spielte mein Konzert in vollster Leidenschaft und dachte überhaupt nicht über Fehler oder Probleme nach, ich hatte es ja bereits so oft gespielt. Es wurde eine wohlverdiente 1,0 – auch die hatte ich mir als Ziel gesteckt. Eine Einstellung, die ich heute nicht mehr habe, aber dazu später mehr.

In all der Vorbereitung zu meinem Bachelorkonzert spielte ich einige Wochen zuvor die Aufnahmeprüfung für den „Master of Music Solo/Kammermusik“ in Köln, denn ich wollte noch weiter bei meinem Professor studieren. Die bestand ich und so wusste ich, dass ich ab Oktober 2019 mein Studium in Wuppertal weiterführen würde. Neben dem Bachelorkonzert, muss man noch eine Repertoireprüfung absolvieren. Die spielte ich dann Ende September. Da war einiges vorgegeben, natürlich Mozart Konzert und Orchesterstellen, aber auch ein freies Stück nach Wahl. In dieser Prüfung spielte ich bereits mit meinem wundervollen Duopartner Valère.
Nachdem ich dann meinen Bachelor offiziell beendet hatte ging ein paar Tage später mein Masterstudium los. Ich hatte unendlich viele Ideen und Pläne für meinen Master. Das erste große Ziel war der Deutsche Musikwettbewerb im Jahr 2020. Ich meldete mich an, begann das Programm zu üben und arbeiten (besonders mit Valère eine Wohltat) und machte mir einen Plan für den Wettbewerb. (Falls jemand sich auf einen Wettbewerb vorbereitet: hier ist der Artikel mit Valère) Insgesamt bereitete ich mich acht Monate auf den Wettbewerb vor, mein gesamtes erstes Semester bestand aus der Vorbereitung, Orchesterphase und einigen wenigen Kursen. Dann kam die erste Märzwoche 2020, Valère und ich hatten einige längere Probentage hinter uns und waren in den letzten Zügen für den Wettbewerb, der Mitte März in Bonn starten sollte. (Hier ein Video von unserer Probe.)
Am 13.03.2020 fuhr ich nach Wien zu meine wundervollen Freundin und Kollegin Mária Kósa, wir wollten ursprünglich nach Budapest auf das Flötenfestival. Das wurde bereits abgesagt und ich hatte ein ganz ungutes Gefühl bezüglich des Wettbewerbs. Ich las schon zu der Zeit keine Nachrichten oder hatte einen Liveticker auf meinem Smartphone. Natürlich wusste ich grob um die Situation Bescheid. Aber dann öffnete ich im ICE nach Wien diese eine E-Mail, die mir den Boden unter den Füßen wegzog und mich in ein sehr tiefes Loch brechen lies. Die Absage des Deutschen Musikwettbewerbs wegen Corona. In mir brach mental alles zusammen, ich konnte erst Wochen später sagen, was ich eigentlich in dem Moment gefühlt habe. Es war für mich in dem Moment die absolute Hölle zu realisieren, dass ich mich acht Monate vorbereitet hatte und nun nicht zu einem Abschluss kommen konnte. Natürlich kamen noch einige andere Nachrichten an dem Tag und an dem Wochenende.
Hinzu kam, dass ich wenige Wochen zuvor einen saftigen Nervenzusammenbruch hatte oder wie ich es heute gerne nenne meinen „mentalen Breakdown“. Ich dachte früher immer, mich kann wirklich nichts aus der Bahn werfen, ich hatte mich geirrt. Ich habe mich in Therapie begeben und das war mit Abstand das Beste was ich machen konnte. Über die Hintergründe möchte ich hier nicht schreiben, aber ich wollte den Fakt darüber, dass sich professionelle Hilfe zu holen absolut nichts verwerfliches ist. Wenn man sich ein Bein bricht, geht man auch zum Arzt!
Da ich dadurch sowieso schon labil war, kann man sich vorstellen, wie ich in der Coronazeit weiter eingebrochen bin. Ich möchte das gar nicht groß thematisieren, denn ich brauche niemandem zu erzählen, was da inhaltlich abging. Mein Masterstudium war nicht mehr existent. Ein Master in Solo und Kammermusik lebt von Hauptfachunterricht, Konzerten und Kammermusikproben. Nichts davon war qualitativ mehr möglich. Über Online-Unterricht auf dem Niveau auf dem ich war, brauchen wir uns nicht zu streiten – das ist völlig sinnfrei. Ohne Zielpunkt blieb die Motivation im Keller. Wofür zum Henker sollte ich noch üben? Warum mache ich den ganzen Mist überhaupt noch? Bringt es noch was, dieses Studium weiterzuführen? Will ich überhaupt in einer Branche arbeiten, die der Politik am A**** vorbei geht? Was mache ich überhaupt noch hier?
Ja, die Gedanken sind heftig. Ich war auch in richtig deepem Shit drin. Mir ging es nicht gut. Es war sichtbar auf meiner Haut. Ich war mental komplett am Ende, besonders in der Zeit ab dem 01.11.20. Wer nicht weiß, was da für uns Künstler*innen beschlossen wurde, darf das gerne noch mal nachlesen.

Meine Semester zwei bis vier waren geprägt von Up’s und Down’s. Geübt habe ich wenig, bis ins letzte Semester rein, als ich dann wusste: Ich darf mein Masterkonzert wie geplant am 25.09.21 spielen. Die Idee zu dem Titel „Licht und Schatten“ (exklusiv könnt ihr gerne in mein Masterkonzert schauen, wenn ihr auf den Link klickt) hatte ich tatsächlich nachts einige Monate davor. Der Titel hat mehrere Bedeutungen. Erstens wollte ich mit Licht, Farben und Schatten arbeiten. Zweitens konnte ich mit meinem Program Licht und Schatten in der Musik und in den Werken abbilden, klanglich, wie ich interpretatorisch. Drittens war es das Motto meines Masterstudiums, auch wenn da gefühlt mehr Schatten als Licht war und ich den psychischen Aspekt damit darstellen wollte. Unser Leben besteht immer aus Licht und Schatten. Überall gibt es Polaritäten, die notwendig sind, denn das eine kann ohne das andere nicht sein.

Ich habe sehr viel in meinem Studium gelernt, was nichts mit Musik zu tun hat. Ich habe natürlich auch wahnsinnig viel über Musik, das Flötenspiel, Performance und Geschichte gelernt. Aber wenn ich mich auf wenige Erkenntnisse beschränken müsste, wären es die Erkenntnisse, dass alles möglich ist und vieles von dem, was ich heute mache hätte ich mir vor acht Jahren im Traum nicht vorstellen können. Ich bin unglaublich stark und durch das Studium noch stärker geworden. Das Lernen hört nicht auf, auch nach dem Studium nicht und das ist geil!
Es geht immer weiter…