Nein, es handelt sich hier nicht um einen lustigen Spruch auf einer Karte oder einem T-Shirt aus dem „Kreativ-Schenken-Laden“ von nebenan. Mit Kreativität hat dieser Artikel leider auch nur wenig zu tun. In diesem Artikel geht es um eine Problematik in der Musikbranche, die offenbar nicht nur mir passiert und über die leider viel zu wenig gesprochen wird. Ich spreche (und schreibe) gerne über Dinge, die nicht gerne gehört oder gesagt werden. 

Meistens hat dieses „Nicht-darüber-sprechen-Wollen“ auch Gründe, über die ebensowenig Menschen in unserer Branche sprechen wollen. Macht und Abhängigkeit zum Beispiel. Abhängigkeit von einer Institution, die einen noch bezahlen sollte, aber nach Wochen des Wartens und Nachfragens noch immer kein Geld da ist. Abhängigkeit von Menschen, die einen engagiert haben und man als Musiker:in und in diesem Fall Dienstleister:in, seinem Geld hinterherlaufen muss. 

Man stelle sich vor ein Mensch im öffentlichen Dienst oder gar verbeamtet, müsse seinem Geld hinterherlaufen. Ein wirklich erheiterndes Bild, aber leider absolut unrealistisch, welches bestimmt eine Karikatur wert wäre, sollte dies hier eine Künstler:in lesen. 

Ich möchte gerne eine Geschichte erzählen, die sich so leider regelmäßig zuträgt in der Musikbranche, in der sogenannten „freien Szene“. In dieser Szene sind ein Großteil der Menschen, teil- oder vollselbstständig und haben bei der nun folgenden Geschichte oft das Gefühl macht- und hilflos zu sein. 

Was hat sich zugetragen?

Am 14.05.23 bekam ich eine Anfrage für eine Veranstaltung innerhalb der Reihe „Sound of the City“ in Wuppertal. Veranstalter waren die Wuppertaler Bühnen. Ich wurde als Flötistin angefragt bei einer Vogelwanderung die musikalische Umrahmung zu gestalten. „Der frühe Vogel“ – so hieß die Veranstaltung. Samstags morgens um 06.00 Uhr. Natürlich, man möchte ja auch was von den Vögeln hören. Gemeinsam mit einem Ornithologen würden wir über die Hardt in Wuppertal spazieren, wurde mir gesagt und ich solle dort drei Stücke an unterschiedlichen Orten spielen. Grobe Aufenthaltszeit: 90 Minuten

Ich fand die Projektidee sehr interessant und spiele generell gerne in der Natur, fragte dann nach, wie hoch die Gage sei. „Leider können wir nur 180€ bezahlen.“ Autsch. Ich bin ehrlich, normalerweise verlasse ich meine Wohnung nicht, für solche Engagements unter 300€. Immerhin schön, dass den Veranstaltern selbst klar ist, dass das zu wenig ist. Ich höre schon die ein oder andere Person, außerhalb der Musikbranche sagen: „180€ ist doch verdammt viel Geld für 90 Minuten.“

An dieser Stelle möchte ich in aller Kürze darauf hinweisen, dass ich diesen Betrag versteuern muss, meine Sozialversicherung und andere Versicherungen davon bezahlen muss, mein Instrument, mit dem ich diesen Auftritt spiele einen Wert von 13.700€ hat (deren Versicherung ich selbstverständlich auch zahlen muss) und ich für die Werke, die ich dort gespielt habe insgesamt zehn Jahre studiert, abertausende Stunden geübt habe und ich Berufsgruppen kenne, die weitaus weniger in ihre Berufsausbildung gesteckt haben und deutlich höhere Stundenlöhne nehmen. Nur kräht da kein Hahn nach. 

Ich schluckte kurz und sagte zu, weil ich Lust auf das Projekt hatte und ich mittlerweile in der „luxuriösen Lage“ bin, aktuell nicht von den Honoraren über musikalische Auftritte abhängig zu sein. Faszinierend, denn ich habe ursprünglich mal genau das studiert und dachte naiv wie ich damals war, ich würde einen Großteil meines Einkommens dadurch verdienen, Musik zu machen. Davon zu leben ist aber aus vielerlei Gründen nervenaufreibend, desillusionierend und manchmal sogar deprimierend. 

Ich bekam einige Tage nach der Anfrage eine Mail mit einem Personalbogen, den ich ausfüllen sollte. Das tat ich und ging wie vereinbart am 27.05.23 zu dem Treffpunkt, stand um 04.00 Uhr auf, um mich körperlich darauf einzustellen um 06.00 Uhr spielen zu können. Jede:r der oder die sich ein bisschen mit Musiker:innen beschäftigt hat, weiß, dass man normalerweise eher um 04.00 Uhr morgens von einem Konzert nach Hause kommt, als zu der Zeit aufzustehen, um zu einem hinzufahren. Ich hatte es zum Glück nicht weit und umrahmte für über zwei Stunden (ja, war anders besprochen, aber „ein bisschen länger ist doch kein Problem?“) die Veranstaltung: „Der frühe Vogel“. Im Endeffekt machte ich mich erst um 08.30 Uhr wieder auf den Heimweg. 

Leider auch keine Seltenheit, dass wir gebucht werden für einen bestimmten Zeitraum, man dann aber doch länger bleiben soll, natürlich ohne, dass mehr bezahlt wird. Man „ist ja eh da“.

Ich hatte Spaß, habe viel über Vögel gelernt und ein sehr interessiertes und neugieriges Publikum. Da ich auch zwei moderne Stücke gespielt habe, gab es noch einige Gespräche über die Spieltechniken, die ich auf der Querflöte verwendete. Alles in allem ein schöner Auftritt, bei dem ich verkraften konnte, dass nicht so viel Gage dabei rumkam, wie ich eigentlich gerne verhandelt hätte. Es gab genau genommen auch keinen Verhandlungsspielraum.

Der Marathon beginnt…

Etwas mehr als zwei Wochen später stellte ich bei einem Blick auf mein Konto fest, dass noch keine Gage eingegangen war und schrieb Mitte Juni die erste von mehreren E-Mails, da ich nachfragen wollte, ob irgendwas schief gegangen sei, meine IBAN falsch ist, irgendwas untergegangen sei oder wann ich denn mit meiner Gage rechnen könne. Ich habe schon alles erlebt, von Zahlendrehern in der Bankverbindung bis hin zu „Oh, vergessen!“. Kann alles mal passieren und ist auch völlig in Ordnung, wenn nach der Aufforderung dann das Geld kommt. Aber es kam nicht. 

Meine Kontaktperson arbeitet selbst nicht bei den Wuppertaler Bühnen, sondern war ebenfalls angeheuert für das Projekt für die Koordination. Sie gab mir einen Kontakt, an den ich mich wenden solle, falls nach einer Woche nichts kommt. Als nichts kam, meldete ich mich telefonisch bei der Person. Mir wurde am Telefon gesagt, wie leid es der Person täte, das ich mein Geld noch nicht hätte und er würde sofort in der Finanzabteilung nachfragen und sich noch mal melden. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits Ende Juni. 

Als ich nichts hörte und auch kein Geld eingegangen ist, rief ich ein weiteres Mal an und erreichte niemanden, schrieb meine nächste E-Mail und erhielt die Information, dass die Person und die Institution nun in der Sommerpause sei. Bis zum 12.08.23. Das wären bereits zehn Wochen nach dem gespielten Auftritt.

Ich frage mich in solchen Momenten immer, ob ich dann auch einfach meiner Vermieterin schreiben könne, das es mir leid täte, ich könne aktuell leider keine Miete bezahlen, denn ich muss warten, bis bei den Wuppertaler Bühnen wieder jemand arbeitet, der mir Informationen darüber geben kann, wo mein Geld bleibt. Ich bin ja nicht abhängig von dem Geld, aber es gibt nun mal Menschen in der Musikbranche, die sind es!

Ich meldete mich also dann nach dem 12.08.23 erneut per Mail und erhielt keine Reaktion. Meine Kontaktperson, die ja noch immer nicht bei den Wuppertaler Bühnen direkt arbeitet, sagte mir, es sei nun an höchster Stelle gemeldet, dass das Geld noch nicht überwiesen wurde. Ende August(!) kam dann eine E-Mail von der Kontaktperson, die mich fragte, ob ich denn einen Vertrag erhalten hätte. Hatte ich nicht. Ich wusste nicht mal, dass ich einen bekommen sollte. In unserer Szene ist es nicht unüblich, dass man bei solchen Engagements mit Personalbögen und Formularen arbeitet und dann eine Quittung erhält. 

Es hat also ganze zwölf Wochen gebraucht um zu realisieren, dass der Vertrag, der angeblich verschickt worden sei, bei mir nie ankam. Zu meiner noch größeren Enttäuschung, war ich nicht die Einzige aus dieser Projektreihe, die noch kein Geld hatte. 

Das war der Moment, indem ich besonders wütend wurde. Ich spürte die Macht- und Hilflosigkeit, die ich schon so oft verspürte, wenn ich Zahlungserinnerungen rausschickte oder das Gefühl hatte, mich solchen Umständen dann ergeben zu müssen. Ich spürte Wut darüber, dass es sich hierbei vielleicht um Menschen aus der Szene handelt, die wirklich angewiesen sind auf diese Gage und vielleicht sogar eine Familie ernähren müssen. 

Ich musste leider nach dieser Erkenntnis bei den Wuppertaler Bühnen noch zwei Mal nachfragen, mir wurde dann gesagt, es seien die Verträge erneut verschickt worden, es müsste bereits etwas bei mir angekommen sein. War aber nicht der Fall. Ich fragte nach, ob man mir den Vertrag nicht einfach per Mail senden könne, diese Mail schrieb ich am 13.09.23. 

Während ich diese Zeilen schreibe warte ich noch immer auf mein Geld. Ich habe am 28.09.23 genau vier Monate nach dem Engagement eine E-Mail mit einem Vertrag erhalten. Das Geld erhielt ich am 06.10.23!

Ich bin leider nicht alleine

Ich hörte schon so oft von solchen Geschichten, auch an großen Theater- und Opernhäusern, an denen Aushilfen ihr Geld erst Monate nach der erbrachten Leistung erhielten. 

Mir ist absolut klar, dass es sich hierbei nicht um ein absichtliches Herauszögern des Auszahlens handelt, sondern um Bürokratie und strukturelle Probleme, sowie Personalmangel. An manchen Stellen vielleicht auch fehlender Organisation und Struktur oder Klarheit der Aufgabenbereiche. Aber auf der anderen Seite stehen Menschen, die ihren Beruf so sehr lieben und mit vollster Leidenschaft musizieren, oft für extrem wenig Geld und sowas mit sich machen lassen, weil sie denken, „der Veranstalter ruft sonst nicht mehr an“, „die finden sowieso jemand anderen“ oder „ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn die Gage nicht gezahlt wird“. Wie man mit sowas umgeht, lernen wir in dem Musikstudium leider nicht.

Es sind Menschen, die verdammt viel Zeit, Energie und Geld in ihre Profession investiert haben und sich in solchen Situation absolut nicht gewertschätzt fühlen, weder finanziell noch menschlich. 

Es sind Menschen, die auf Vieles verzichten, um ihren Traum zu leben und Musiker:in zu sein, z.T. Engagements annehmen, die unterbezahlt sind und unter krassen Arbeitsbedingungen stattfinden, weil sie denken, das muss so sein. 

Es sind Menschen, die genauso ihre Miete und Versicherungen und Lebenshaltungskosten zahlen müssen, wie angestellte Musiker:innen und die keinen Inflationsausgleich erhalten, sondern an deren Gagen dann auch noch gespart wird. 

Wenn ich gewusst hätte, dass ich insgesamt sieben Mal lächerlichen 180€ hinterherrennen muss, von denen ich einfach schick essen gehen werde, damit ich mit diesem Geld noch irgendwas Schönes verbinde, dann hätte ich mir das gespart. Es hat mich Unmengen an Stress und Ärger gekostet, um dann vier Monate später folgende Zeilen zu lesen: 

„Liebe Frau Worf,

wie uns mitgeteilt wurde, haben sie immer noch nicht ihr ausstehendes Honorar für das Opernfestival ›Sound of the City‹ erhalten, weil uns leider kein unterschriebenes Vertragsexemplar vorliegt. Es tut uns leid, dass sie so lange auf das Geld warten mussten.

Nach dem wir den Vertrag am 04.09.2023 nochmal in die Ausgangspost gegeben haben, der aber auf den Weg anscheinend verschütt gegangen ist, würden wir sie bitten, den Vertrag, den sie anbei finden, einmal zu unterschreiben und an uns per Mail zurückzusenden.

Für die Unannehmlichkeiten möchten wir uns entschuldigen und leiten alles schnellstmöglich mit der Finanzbuchhaltung in die Wege, sobald wir den angehängten Vertrag von ihnen zurückerhalten.

Vielen Dank und herzliche Grüße

…“

Nein, ich entschuldige nicht und mit schnellstmöglich hat diese ganze Geschichte leider wenig zu tun. Selbst mit Brieftaube oder Eule hätte ich schneller kommunizieren können. Ich hätte sogar eine Schildkröte auf Reisen schicken können, mit den Nachrichten und die wäre immer noch schneller beim Hauptstandort der Wuppertaler Bühnen gewesen, als ich auf mein Geld warten musste. Ich habe zeitweise überlegt, ob ich ein Fax schicken soll. Oder ein Telegram. Ich hätte gerne einfach mit der Überschrift dieses Artikels geantwortet. 

Gleichzeitig habe ich beschlossen nicht mehr zu schweigen, mich bei und mit meinen Kolleg:innen aufzuregen über diese Geschichten, die uns allen schon mal so oder so ähnlich passiert sind, sondern darüber zu sprechen und zu schreiben. Sichtbarkeit dieser Missstände ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen, die in unsere Konzerte kommen wissen, wie es „Hinter den Kulissen“ aussieht. 

In einem Artikel über ein Konzert im Jahr 2022 von diesem Festival finde ich ein Zitat: „Bei „Sound of the City“ treffen sich Klassik und Performance an ungewöhnlichen Orten. Bitte weitermachen, bitte mehr davon.“ 

Ja, gerne, aber wenn möglich mit Auszahlung der Gagen innerhalb von zwei Wochen und nicht von vier Monaten.

Es gibt so schöne Seiten an unserem Beruf, aber unseren Gagen hinterherzulaufen gehört definitiv zu denen, die ich nicht mehr ertrage. 

So etwas passiert überall und leider viel zu regelmäßig. 

Ich gönne mir jetzt ein leckeres Essen, erfreue mich daran, dass ich meine Selbstständigkeit auf vielen Standbeinen aufgebaut habe und werde trotzdem das aussprechen, was so viele nicht hören wollen. Ich werde weiter für bessere Arbeitsbedingungen von Musiker:innen und Musikpädagog:innen kämpfen. Ich werde nicht schweigen und es über mich ergehen lassen. 

Das ist jetzt vorbei und abschließend noch ein mal:

Der frühe Vogel (und deren Veranstalter) kann mich mal!

Eine Antwort zu „Der frühe Vogel kann mich mal…”.

  1. […] davon bin ich sogar noch vier Monate hinterhergelaufen, mehr dazu findest du in meinem Artikel Der frühe Vogel kann mich mal. Ich habe im Mai um 06.00 Uhr morgens eine Vogelwanderung musikalisch umrahmt, das Projekt als […]

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