Was ich gerne vor meinem Abitur gewusst hätte …

2013 im Januar, vor also ziemlich genau zehn Jahren hatte ich gerade mein schriftliches Abitur hinter mir. Wenn du dich jetzt fragst, wie das sein kann, dass ich mein Abitur im Januar geschrieben habe: Ich habe mein Abitur in Rheinland-Pfalz gemacht. Dort gab es zu dem Zeitpunkt weder G8 oder G9, sondern irgendwas dazwischen. Mein Abiturzeugnis habe ich Mitte März übergeben bekommen und am 01.04.2013 begann direkt mein Studium der Instrumentalpädagogik (Flöte) am PCK in Mainz. 

Soviel zur zeitlichen Einordnung. Bereits in meinem ersten Studiensemester lernte ich Dinge über mich, über Neurobiologie (deshalb hatte ich ja eigentlich mal Bio LK gewählt, aber über das Gehirn gab es genau drei Stunden Stoff…), über Lerntheorien, über Pädagogik, Methodik und Didaktik, die ich gerne alle früher gewusst hätte. Jetzt kannst du natürlich sagen: Hätte, hätte Fahrradkette. Ja, aber das ärgert mich z.T. noch heute, dass wir in der Schule allen möglichen Kram lernen mussten, den ich zu 90% nach den Klausuren schon wieder vergessen hatte und ich die Kapazität meines Gehirns gerne sinnvoller genutzt hätte, als das Periodensystem auswendig zu lernen. Hab ich eh nicht hinbekommen. 

Klein Saskia im Januar 2013 beim Shooting für die Abizeitung im Musik LK – ungefähr diese Emotion fühle ich leider heute noch wenn ich an Schule denke …

Ich habe dann von der Lehrerin irgendwann gesagt bekommen, ich müsste meine Prioritäten klären, da ich ja die ganze Zeit nur üben würde und mich mit Musik beschäftigen würde – Ja, in einem Jungstudium ist das nun mal so. Meine Prioritäten waren sehr klar, nur stimmten die nicht mit denen der Lehrerin und dem Schulsystem im Allgemeinen überein. Über dieses Thema werde ich wohl noch einige Artikel schreiben und noch einige Podcastfolgen aufnehmen. Eine davon ging heute auch online, die könnt ihr euch hier anhören

Heute soll es aber um einige Erkenntnisse gehen, die ich gerne vorher gewusst hätte. Diese hätten mir mein Leben erheblich erleichtert und mich nicht fühlen lassen, als wäre ich das letzte Licht in der Klasse oder dem Kurs. 

Wie lerne ich am Besten? 

Ich kann dir sagen, als mir klar wurde in meiner Studienzeit, mit welchen Methoden ich ganz persönlich ich am Besten lerne, ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Natürlich habe ich oft mit Methoden gelernt, die in der Schule überwiegend so angeleitet werden. Texte zusammenfassen, Essenz erfassen und kombinieren mit anderen Erkenntnissen. Sehr viel Wissen in möglichst kurzer Zeit in mich rein fressen. Karteikarten schreiben oder in Lerngruppen arbeiten. 

Als ich dann das erste Mal vom sogenannten „Mehrkanallernen“ hörte und realisierte, dass es verschiedene Kanäle gibt auf denen wir Neues Lernen können und wir mit verschiedenen Sinneskanälen arbeiten können, bin ich doch leicht zusammen gezuckt und dachte: Wieso hat da in der Schule niemand drüber gesprochen? 

Was ich heute über mich und meine Favoriten an Lernmethoden weiß?

  • Ich lerne am Besten in Bewegung.
  • Ich lerne am Besten alleine.
  • Ich lerne am Besten über auditive und visuelle Eindrücke. 
  • Ich lerne am Besten in dem ich mich aus verschiedenen Perspektiven mit einem Thema beschäftige. 
  • Ich lerne am Besten in einer entspannten Atmosphäre ohne Zeit- und Leistungsdruck. (Ja, ihr dürft lachen, hab ich auch getan, als ich das bemerkt habe.)
  • Ich lerne am Besten wenn es mich interessiert und es eine Relevanz für mich hat, dieses Neue in meinem Gehirn zu generieren. 

Relevanz und Interesse?

Viele Menschen realisieren wie ich schon während der Schulzeit, dass man natürlich motivierter und begeisterter Neues lernt, wenn es einen interessiert und es eine Relevanz für einen selbst hat, es einem wichtig ist. Ja, nun, was soll ich sagen, wie oft habe ich den Satz gehört: „Es könnte ja sein, dass ihr das irgendwann braucht.“ – Sehr motivierend.

Kennt ihr das Phänomen, dass ihr in einer Klassenstufe überhaupt kein Bock auf ein Fach habt und auch nicht besonders gut seid, dann gibt es einen Lehrerwechsel und plötzlich brennt ihr für das Thema und schreibt gute Noten? Bin ich die Einzige, der irgendwann aufgefallen ist, dass das eventuell mit der Leidenschaft und Inspiration der Lehrkraft zusammenhängen könnte? Bin ich die Einzige, der aufgefallen ist, dass Lehrer*innen nicht nur Wissen vermitteln sollte, sondern auch Begeisterung und Motivation in Kindern und Jugendlichen wecken dürfen. Dafür sollten sie aber selbst begeistert und motiviert sein … Die wirklich inspirierenden Lehrer*innen, die ich hatte, kann ich an einer Hand abzählen. In 12 1/2 Jahren Schule.

Es ist eben nicht damit getan, ein neues Thema auf den Tisch zu bringen und dann zu versuchen, das in die Schüler*innen einzutrichtern. Was ich noch gerne vor meinem Abitur hätte wissen wollen?

Wissen kann nur selbst generiert werden und nicht von Außen in uns reingeschüttet werden

Oh man, wie viel Schweiß, Blut und Tränen hätte ich mir sparen können, wenn ich das mal früher gewusst hätte. Ich dachte immer und habe das von „besonders guten Pädagog*innen“ auch noch um die Ohren gepfeffert bekommen, dass ich einfach zu dumm und langsam dafür bin und offensichtlich nicht geeignet für das Gymnasium. Wenn mir nur eine dieser extrem elitären und gut ausgebildeten, aber leider völlig umemphatischen und unreflektierten Lehrkräfte mal den Raum dafür gegeben hätte herauszufinden, wie ich dieses Wissen in mir selbst generieren kann und das es eben nicht mein Fehler ist, wenn ich mit dem System an sich nicht klar komme, dann wäre ich nicht so traumatisiert worden und hätte mich selbst nicht als „einfach nicht gut genug“ plakatiert.

Kommt dir der Glaubenssatz und das Phänomen bekannt vor? Herzlich Willkommen im Club. An der Stelle ein Buchtipp: In meinem Element von Ken Robinson! (Gibt’s auf deutsch leider nicht mehr als gebundene Ausgabe zu kaufen, aber als E-Book)

Ein weitere Punkt, den ich in dem Zuge gerne früher gewusst hätte:

Ich bin nicht schuld, dass ich nicht in das System passe

Was für eine Welt wäre das, wenn wir in Schulen wirklich Bildung wieder Ernst nehmen und Menschen in ihren Stärken und Interessen unterstützen, sie zu Expert*innen und kreativen und lösungsorientierten Schöpfern werden, anstatt sie alle über ein Kamm zu scheren und zu versuchen, sie in ein quadratisch, praktisches Paket zu pressen. Arbeitgeber*innen brauchen Menschen, die „outside the box“ denken, die kreativ sind und selbstständig denken und handeln, aber wir geben unsere Kreativität und Selbstständigkeit in der Schule, der Universität und dem Großraumbüro an der Eingangstür ab. Wie zum Henker soll das funktionieren?

Nicht jeder Mensch interessiert sich für Physik, Mathe oder Informatik. Genauso wie sich nicht jeder Mensch auf einer Bühne wohlfühlt und gerne vor Menschen spricht. Nicht jeder Mensch spricht ohne größere Probleme vier Sprachen fließend und nicht jeder Mensch ist in der Lage mit drei Stunden Training in 12 Minuten drei Kilometer zu laufen. Wer hatte überhaupt diese bescheuerte Idee im Sportunterricht mit dem Cooper-Test die Menschen sportlich gänzlich zu demotivieren. Wie viel Leistungs- und Zeitdruck passt eigentlich in ein System, in dem die Menschen sowieso schon reihenweise krank und kränker werden und alle wundern sich, wie das sein kann?

Ich habe gelernt, dass ich nicht schuld bin, dass ich nicht der Fehler bin und dass ich Fehler machen darf und das sogar Voraussetzung fürs Lernen ist. Aber es gab für mich keinen fehlerfeindlicheren Raum als Schule.

Fehlerfreundlich vs. Fehlerfeindlich

Ich habe heute noch leicht panische zustände bei rotem Feinliner. Ich hätte gerne vor meinem Abitur gewusst, dass es völlig okay ist Fehler zu machen. Das ich deshalb kein wertloserer Mensch bin, deshalb nicht blöd und nicht geeignet für „etc.“ bin. Meine Schüler*innen schauen mich heute immer völlig verdattert an, wenn ich sage: Hier ist ein fehlerfreundlicher Raum – Du darfst hier Fehler machen. Das kennen die nicht. In der Schule hat man mit 94 von 100 Punkten eine 2+ und Kinder und Jugendliche (und deren Eltern) ärgern sich z.T., dass es keine 1 ist, anstatt sich über die 94 Punkte richtiger Antworten zu freuen, ärgern wir uns über die fehlenden 6.

Vielleicht merkst du ein Muster an der Problematik. In der Schule werden nicht die richtigen Antworten gefeiert, sondern die Falschen angeprangert. Der Fokus liegt immer auf dem was noch nicht läuft. Es wird nicht positiv verstärkt, was bereits vorhanden ist, sondern nur auf das geschaut, was „leider immer noch nicht so gut ist“, denn es ist ja auch ein Problem, wenn ein*e Schüler*in nicht in allem perfekt ist. Das erzeugt enorm viel Druck und die Menschen, die sich selbst fröhlich erzählen, sie könnten unter Druck einfach besser arbeiten, den möchte ich einen liebevollen Rat geben: Wo meinst du, hast du das her?

Wir wissen mittlerweile, dass ein gestresstes Nervensystem nicht besser Informationen aufnehmen kann, als ein entspanntes. Ich rede nicht von leichter Aufregung, sondern von einem hohen Cortisol Spiegel, sodass heute schon Schüler*innen während ihrem Abitur einem Burnout nahe sind. Unter Druck und Stress zu Lernen, was für die meisten Alltag ist, ist nicht gesund und leider überhaupt nicht förderlich für unsere Kreativität. Die eine Gehirnhälfte geht quasi einfach ein und die andere wird überlastet.

Ich könnte jetzt noch einige Zeilen weiter schreiben aber möchte hier einen Punkt machen und euch dazu ermutigen mit mir in den Austausch zu gehen. Wie ging es euch in der Schulzeit? Wie habt ihr das wahrgenommen und habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich? Kommentiert gerne unter dem Artikel oder schreibt mit eine Mail an info@managemusik.com

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