Alles im Flow?

Flow oder nicht Flow, das ist hier die Frage…

Wisst ihr was wundervoll ist? Wenn man Menschen trifft, bei denen man denkt: Die kenne ich schon. Wenn man diese Person nicht mal persönlich treffen muss, um zu wissen: Unsere Seelen begegnen sich definitiv nicht zum ersten Mal. Ungefähr so fühle es sich an mit Maria Busqué zu sprechen und schon vorab zu schreiben.

Wenn man auf ihre Website geht steht dort:

„Ich helfe Musikerinnen und Musikern zu lernen, wie sie sich wertschätzen und MIT statt GEGEN ihren Körper musizieren. (Und natürlich, wie sie in den Flow kommen!)“

https://www.mariabusque.net

Mit und nicht gegen den Körper. Das war auch mein Game Changer nur kannte ich Maria zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Vor kurzem hatte ich die Freude ein Interview mit ihr aufzunehmen und dieses Interview könnt ihr nun auf meinem Podcast hören. Hier geht es zu meinem Linktree, da könnt ihr euch die Plattform einfach aussuchen, auf der ihr meinen Podcast hört.

Im Gespräch habe ich gemerkt, dass wir sehr viele Gemeinsamkeiten haben. Wir beide möchten Menschen, allen voran Musiker*innen, mit unserer Energie und unserem Wissen inspirieren und motivieren. Wir spielen beide Klavier. Wir haben beide einiges in unserer Studienzeit erlebt, was uns zu all den wertvollen Erkenntnissen gebracht hat. Wir schreiben beide Bücher. Wir geben beide Workshops und Seminare. Vieles mehr, aber vor allem: Wir wollen beide was verändern und stehen beide in guter Verbindung zu uns selbst. Es hat sich so oft angefühlt, als hätten wir uns zum 100. Mal unterhalten und ich hätte noch Stunden mit ihr weiter sprechen können.

3 meiner Erkenntnisse aus dem Buch „Alles im Flow?“

Aber nun möchte ich euch ein paar Golden Nuggets aus ihrem Buch mitgeben, denn ich habe es gelesen und mir meine drei stärksten Mindblow Sätze oder Erkenntnisse aufgeschrieben. Diese teile ich nun mit euch. Ich kann euch aber nur wärmstens empfehlen, dieses Buch zu kaufen und es selbst zu lesen.

1. Definition des Wortes „virtuos“

Das war ein so krasser Mindblow-Moment beim Lesen. Ich saß in meinem kuschligen Sessel mit Kaffee neben mir auf dem Beistelltisch, es lief leise Musik und ein paar Kerzen waren an. Ich hatte gerade das Buch von Maria begonnen zu lesen, darin zu stöbern, da las ich plötzlich die folgenden Zeilen:

„Darin liegt für mich die Bedeutung des Wortes ‚virtuos‘: Wenn ich jeden Morgen aufstehen kann und mich auf die Arbeit freue, als wäre es der erste Tag. Dass jeder Tag wie der erste sein, dass wir jeden Tag aufs Neue mit frischen Ohren zum Üben kommen“ (Alles im Flow? – „Beginner’s Mind in der Musik“)

Ja. Wahnsinn. In meinem Gehirn war so hartes Synapsen-Fasching. Ich zückte mein Journal und schrieb mir die Zeilen auf, meine Gedanken dazu, mir liefen plötzlich Tränen übers Gesicht. Nachdem ich das Buch gerade mal fünf Minuten in der Hand hatte. Ich habe zehn Jahre studiert, davor drei Jahre Jungstudium gemacht. Ich hatte in meinem Kopf immer den Satz: „Ach so eine krasse Virtuosin bist du ja gar nicht, so abgefahrene Läufe und „virtuose“ Passagen sind nicht so deins. Ich bin eher so die Klang-Kanone und berühre mit meiner Musik die Herzen, scheiß auf langsame Finger“. Mir flossen noch mehr Tränen. Ich war schon immer virtuos. Ich bin eine Virtuosin sondergleichen. Ich spiele mehrere Instrumente auf sehr hohem Niveau und singe für mein Leben gerne und bin extrem gut vom Blatt, egal mit welchem Instrument oder meiner Stimme. Ich konnte Noten lesen, bevor ich wusste wie die Buchstaben dazu heißen, das Privileg haben nicht viele. Ich erfasse wahnsinnig schnell Musik und deren Aussage oder tieferer Bedeutung. Ich habe ein sehr großes Klangspektrum und improvisiere und komponiere gerne. Musizieren mit anderen ist für mich wie Atmen und ich hatte nie Probleme mit Intonation, Rhythmus oder Zusammenspiel. Nur meine Finger waren nicht die schnellsten und die ersten, die im System zusammengebrochen sind, wenn ich unter Druck stand. Und deshalb habe ich mich als „nicht virtuos“ bezeichnet.

Ich saß also da und weinte. Nach fünf Minuten mit dem Buch, brach eine riesen Blockade in meinem Kopf durch. Jede Tag, wenn ich mich an meine Instrumente setze, singe und musiziere und mich fühle, als wäre es das erste Mal, bin ich virtuos. Kein Studium der Welt ist nötig dafür, um diese Erkenntnis zu haben, muss man viel eher aus dem Studium draussen sein …

2. Das Wunder der Kunst steckt nicht im fehlerfreien Vortrag

Die Geschichte von Maria João Pires aus dem Jahre 1997 ist vielen bekannt. Wenn du nicht weißt worum es geht, hier ist ein Videolink, bei dem du das anschauen kannst.

Stell dir vor, du bist für ein Solokonzert gebucht, stehst oder sitzt auf der Bühne und das Orchester beginnt mit einem anderen Konzert, als du es vorbereitet hast. Du hast das Werk zwar schon mal gespielt und es im Repertoire, aber warst darauf nicht vorbereitet. Das ist so der blanke Horror und Alptraum eines Solisten oder einer Solistin, welcher 1997 bei Maria João Pires wahr wurde. Nun, die Geschichte kannte ich schon, welche Erkenntnis mir beim Lesen dieser Seiten kam war, dass nicht das fehlerfreie Spiel von der großartigen Pianistin ein solches Wunder war, sondern mit welcher Leidenschaft und mit was für einem Klang diese spielte. Wie sie ihre Emotionen in die Musik und in die Tasten legte. Sie entscheid sich vermutlich kurz vor dem Start des Soloparts so musikalisch und emotional wie möglich zu spielen und darauf zu vertrauen, dass sie die Musik noch im Körper abgespeichert hat. Das wahre Wunder war nicht, dass sie es fehlerfrei spielte, sondern wie sie es interpretierte, ohne Vorbereitung.

Ich erlebte im April diesen Jahres eine etwas ähnliche Situation, nicht so krass und ich konnte mich dafür oder dagegen entscheiden das zu machen. Ich war beim Flötenfestival der Österreichischen Flötengesellschaft, eigentlich für die Organisation mit meiner lieben Freundin und Kollegin Mária Kósa zuständig. Mit ihr saß ich am Abend vor dem ersten Tag zusammen und sie bekam die Nachricht, dass ein Student der am nächsten Morgen beim ersten Meisterkurs aus Krankheitsgründen ausfiel. Sie schaute mich an und sagte: „Saskia, kannst du morgen um 10 Uhr Mozart Konzert spielen als Vertretung? Es ist der erste Termin und wir brauchen jemand, der eröffnet.“

Ich saß da, schaute sie an, überlegte kurz. Ich habe beide Mozart Konzerte über ein Jahr nicht mehr gespielt oder geübt. Ich hatte sie aber über fünf Jahre quasi täglich geübt, auswendig gespielt und sogar eins davon mit Orchester aufgeführt, mehrere Probespiele und Prüfungen damit gemacht. Es ging nur um den ersten Satz. Ich hörte in mich und eine Stimme in mir sagte: „Do it! Du kannst das!“ Am nächsten Morgen hatten wir sehr viel Organisation zu tun und es gab schlicht keine Zeit sich vorzubereiten, geschweige denn sich warm zu spielen. Ich hatte nicht mal Zeit mir Gedanken zu machen. Um 10 Uhr war der offene Meisterkurs im Palais Ehrbar Saal in Wien. Ich hatte noch nie öffentlich in Wien gespielt. 9.55 Uhr packte ich schnell meine Flöte aus, spielte ein paar Töne, nahm die Klavierstimme für die Pianistin und ging in den Saal auf die Bühne. Vor mir saßen dutzende Flötist*innen. Es gibt nichts aufregenderes als vor den eigenen „Fachdioten“ (nicht böse gemeint ;-)) zu spielen. Ich stand da nun und die Dozentin Karina Bonelli kam zu mir, fragte was ich spielen würde, sie wusste nicht, dass ich einspringe. Sie wusste auch nicht, dass ich gar nicht mehr studierte, sondern bereits fertig war.

Die Pianistin begann mit den letzten vier Takten des Mozart Konzerts in D-Dur vor dem Flöteneinsatz. Ich hatte diese Situation in meiner Studienzeit so oft, ich wusste was zu tun ist, ich atmete zwei mal tief durch, nahm die Flöte hoch und spielte nahezu ein fehlerfreien ersten Satz, auswendig, ohne es seit einem Jahr auch nur ein mal angeschaut zu haben. Auch hier war für mich nicht das „fehlerfrei“ von Bedeutung, sondern die Musik, die Aussage der Melodien, die Emotionen. Ich spielte nicht wie „im Probespiel“ oder „in der Prüfung“. Ich spielte Mozart. In Wien. Ich dachte kurz: „Vielleicht steinigen sie mich gleich hier.“ Ich spielte in voller Leidenschaft. Ich war absolut im Flow. Ich hörte danach ein Teil auf der Aufnahme und wusste nicht, wie ich das gemacht hatte. Danach kamen so viele Menschen zu mir, wie schön sie es fanden, wie berührt sie waren. Flötist*innen, die das Stück selbst ständig spielen und es eigentlich schon „nicht mehr hören können“, waren davon berührt.

Mir liefen die Tränen danach, nicht nur weil ich glücklich war keine Katastrophe abgeliefert zu haben, sondern weil ich das gemacht habe, wofür ich auf dieser Erde bin: Ich berühre, inspiriere, motiviere und verbinde mich mit Menschen durch Musik und meine Energie. Das eine c, statt cis? Darauf schei*e ich! Das Wunder geschieht in der Emotion und der Leidenschaft bei der Musik, nicht in der Perfektion und richtigen Noten. Wenn Maria João Pires und ich das können. Ein Werk nach einem Jahr Pause mit Emotionen und Leidenschaft zu spielen, dann kannst du das auch!

3. Musizieren ohne Panzerung

Oh ja! Bei dem Kapitel bzw. Artikel schallerte es bei mir massiv. Eine Aussage ist besonders hängen geblieben, ich lebe das bereits sein Jahren mit meinen Schüler*innen. Ich sehe mich als Musiklehrerin. Ich unterrichte Musik. Ich unterrichte Musizieren – nicht Klavier oder Flöte. Die Zeilen in dem Artikel lauten:

„Nach Tetzlaff sollte der Instrumentalunterricht nur der erste Schritt in der musikalischen Ausbildung sein; Musik sollte in erster Linie unterrichtet werden und nicht Violine.“ (Artikel)

Das ist der Punkt. Wir bilden schon in der Musikschule überwiegend Instrumentalist*innen oder Sänger*innen aus und eben keine Musiker*innen. Wir können mit Musik und der Interpretation von Werken oder Improvisation Menschen im Publikum in eine andere Sphäre transportieren und berühren. Dafür sind sie im Konzert, sonst könnten sie sich auch zu Hause eine CD oder YouTube anmachen. Die Voraussetzung dafür als Künstler*in auf der Bühne ist allerdings, mehr zu sein als ein guter Techniker oder eine gute Technikerin. Wir denken, dass wenn wir nur perfekt und fehlerfrei spielen sind wir unangreifbar. Wir panzern uns mit Perfektion. Wir haben Angst vor Ablehnung und vor’m Versagen – also sorgen wie dafür, dass es keinen Grund gibt uns abzulehnen oder wir versagen könnten.

Weißt du was das Problem an der Panzerung ist? Wir können kein Risiko eingehen, wir stumpfen emotional ab, wir regulieren uns runter, wir versuchen solide und vermeintlich perfekt zu spielen, aber vergessen dabei, dass niemand ins Konzert kommt um einen perfekten Vortrag zu hören. Wir sind so damit beschäftigt alles richtig zu machen, dass wir vergessen Musik zu machen. Ich weiß, die Handbremse loszulassen und mit Risiko zu spielen kann einen verängstigen oder zumindest haben wir Respekt davor. Das ist okay! Ich gebe dir jetzt einen gut gemeinten Ratschlag:

Schei* auf diese Gedanken, die dir erzählen du müsstest perfekt sein, damit dich alle toll finden und niemand was zu kritisieren hat. Es gibt Menschen die kritisieren dich, weil es ihnen „zu“ perfekt ist.

„Perfektion ist eine Angst, die sich ein schönes Kleid angezogen hat“

Laura Malina Seiler

Du wirst es nie allen recht machen können. Du brauchst keine Angst vor Bewertung zu haben, du wirst sowieso bewertet. Was du lernen darfst, ist das dir das am Ar*** vorbei geht. Fühle die Musik. Sei Musiker*in und zähle nicht die Fehler in Konzerten. Wenn du über 10.000 Noten in einem Werk spielst, was schnell zusammen kommt, und 10 davon sind falsch, dann ist das eine Fehlerquote von 0,001%. In keinem Beruf dieser Welt ist es normal, das nur so wenige „Fehler“ passieren. Das ist eine verdammt krasse Quote. Erfreue dich an den 9.990 richtigen Noten und geißele dich nicht für die 10 „Falschen“. In der Regel hört das Publikum die nicht mal. Genieße die Zeit auf der Bühne, sei dankbar dafür, es ist ein Privileg, dass wir das tun dürfen und wir uns abertausende Stunden um die Ohren gehauen haben um das tun zu können. Leg den Panzer ab! Es gibt nichts befreienderes und das Publikum wird es dir danken.

Das waren meine drei wichtigsten Erkenntnisse mit Kommentar aus dem Buch von Maria Busqué. Ich habe es komplett gelesen, nein eher verschlungen und es wird zu einem meiner Inspirationsquellen und Ideengebern für Themen im Unterricht, im Coaching, für Artikel, für Podcastfolgen, für Workshops. Ich bin sehr dankbar, dass sie das veröffentlicht hat und wünsche ihr alles Gute mit dem Buch – möge es andere genau so inspirieren wie mich!

Hier kannst du das Buch vorstellen, bzw. bestellen. Veröffentlichung ist der 08.12.22

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