17 Semester später (Teil 1)

Am 01.04.2013 begann meine Reise als Studentin. Das ist jetzt einfach krasse 17 Semester her. 17! Drei Studiengänge später sitze ich nun hier und schreibe einen Blogartikel über meine Studienzeit. Hätte ich am 01.04.2013 nicht gedacht, dass ich am 12.09.2021 hier sitze und diese Zeilen in einen Blog tippen würde. Ich war generell in dieser Zeit in einem vollkommen anderen Mindset. Ich dachte mir, ich nehme euch mal mit auf eine kleine Reise durch die Zeit. Erstens um selbst meine Studienzeit zu reflektieren und zu schauen was sich da so verändert hat und zweitens, weil das scheinbar Menschen interessiert, die das hier lesen.

Also zurück zum 01.04.2013. (Unten seht ihr ein paar Fotos von mir aus dieser Zeit.)

Ich habe während meiner gesamten Oberstufenzeit parallel zur Schule mein Jungstudium absolviert, am Peter-Cornelius-Konservatorium in Mainz bei Renate Kehr. Zwischen meinen schriftlichen Abitur-Klausuren und meiner mündlichen Prüfung, spielte ich dann meine Aufnahmeprüfung an genau diesem Haus. Ich habe für das Studium der Instrumentalpädagogik (Hauptfach Flöte) vorgespielt und einen Studienplatz bekommen. Es war im Prinzip ziemlich klar, dass das klappen würde und trotzdem ging mir der Arsch gehörig auf Grundeis bei dieser Prüfung. Ich bestand sie und am 01.04.2013 – 14 Tage nach meiner Zeugnisübergabe an der Hildegardisschule Bingen – begann dort mein Studium. Ich lernte in dieser Zeit wahnsinnig viel über Didaktik, Übemethoden, Neurobiologie, Psychologie und Musikpädagogik. Nicht etwa weil die Kurse so grandios gewesen wären, einige waren das, andere leider nicht – so wie überall natürlich – sondern, weil ich extrem viel gelesen habe und einen ganz besonderen Dozenten hatte, der mein Potential auch als Pädagogin schnell erkannt und mich mit Literatur und Input versorgt hat. Ich habe in meiner Studienzeit in Mainz, wie auch schon zuvor, sehr viel gespielt, viele Muggen, viele Konzerte, sehr viel Kammermusik und natürlich schon unterrichtet. Da war die Musikschule meines Vaters ein geeigneter Ort, um mich auch neben dem Studium auszuprobieren und zu wachsen. In Mainz studierte ich mit unglaublich tollen und wunderbaren Menschen und Musiker*innen und habe dort wahrlich Freunde und Kolleg*innen fürs Leben gefunden – Grüße gehen raus an alle, die hier mitlesen. Ich habe mich in dem „kleinen Teich“ dort sehr wohlgefühlt, aber es gab ein Problem: Ich wollte mehr. Ich wollte wissen wo ich stand, ich hatte dort kaum Vergleichsmöglichkeiten. Ich wollte mehr Bühne, mehr Zeit zum Üben, das ist in einem Pädagogikstudium wirklich nicht so einfach bei all den Fächern. Ich ging auf die Reise, auf die Suche nach jemandem, bei dem oder der ich studieren konnte nach meiner zauberhaften Lehrerin, die mich begleitet hat seit meinem 12. Lebensjahr.

Ich spielte verschiedenen Professor*innen und Dozent*innen vor, an den unterschiedlichsten Orten. Jede*r, der oder die sich für mehrere Aufnahmeprüfungen beworben hat kennt das. Ich habe sowohl sehr liebe Menschen kennengelernt, als auch (und ich nenne selbstverständlich keine Namen) absolut unpädagogische, arrogante Arschgeigen! Nach einer Session, bei der ich jemandem vorspielte, wollte ich hinschmeißen. Und zwar komplett. Ich wollte keine Flöte mehr studieren, denn ich „bin ja sowieso nicht gut genug, und habe gegen die 16- Jährigen Asiaten keine Chance“ (mal abgesehen von dem rassistischen, diskriminierenden Unterton, ein absolut unmöglicher Kommentar!) … mit 20. Alles, was ich damals noch als Baustellen von mir definierte, dachte ich, kann man hinbekommen, mit dem richtigen Lehrer oder der richtigen Lehrerin. Aber diese eine (Arschgeige) Person, hat mir den Boden so unter den Füßen weggezogen, dass ich einfach nicht mehr weitermachen wollte.

Dann, wenn eine Tür zu geht, öffnet sich eine andere. Das sagte mein Opa immer zu mir. Mein geliebter Opa, der am 03.06.2014 ein Stern wurde. Einer der schlimmsten Tage meines Lebens und gleichzeitig, einer der besten meines Lebens. Ein Schicksalstag, mein Schicksalstag. Ich war in dieser Woche zum ersten Mal auf dem Meisterkurs von Carin Levine in Rheinsberg.

Am 03.06.2014 bekam ich morgens den Anruf meines Vaters, dass mein Opa in der Nacht verstorben war. Der Tag fing demnach für mich sehr, sehr traurig und verzweifelt an. Die Kursteilnehmer*innen haben mich so wahnsinnig toll aufgefangen und Carin selbst natürlich auch. Beim Mittagessen sprach ich dann mit ihr, über meinen Wunsch an einer Hochschule studieren zu wollen, aber einfach keine*n finde, der oder die mich nehmen würde. Mal abgesehen davon, dass mich Carin in dieser Woche technisch einmal auseinandergenommen und dann wieder zusammen gesetzt hat, sah sie mich an und lächelte. Dann sagte sie zu mir: „Schau mal, da drüben der Mann mit der Glatze. Das ist Dirk. Geh mal zu ihm rüber und sag du kommst von mir. Er ist Professor in Wuppertal.“

Ich sah mich um, sah einen sehr sympathisch wirkenden Mann am Nebentisch sitzen. Da ich zu diesem Zeitpunkt schon keinerlei Hemmungen hatte fremde Menschen anzusprechen, ging ich rüber, tippte ihm auf die Schulter, streckte ihm die Hand aus und sagte: „Hallo, mein Name ist Saskia, ich komme von Carin, sie sagte du bist Professor in Wuppertal. Ich suche jemand bei dem ich studieren kann, könnte ich dir einmal vorspielen?“. Er lächelte mich an, sprang auf und sagte: „Ja aber selbstverständlich, was machst du denn heute Abend? Dann können wir mal ein Bier gegenüber trinken gehen.“ – What? Ein Bier? Wie geil ist der denn?! Dachte ich mir. Da ich ja an diesem Tag meinen Opi verloren hatte, brauchte ich abends etwas Härteres als Bier. Ich spreche jetzt nicht darüber, wie viel, aber Dirk lud mich auf „ein paar“ Getränke ein und wir unterhielten uns wahnsinnig nett. Ich solle mal auf seinen Meisterkurs kommen in Wuppertal.

Den Wuppertaler Musiksommer 2014. Ich meldete mich direkt an und freute mich wie Bolle auf diesen Kurs und über dieses nette Gespräch. Zur Abwechslung mal keine Arschgeige und lustig war er obendrein, dass dieser Mann 16 Monate später mein Professor sein würde, für 6 Jahre, das ahnte ich noch nicht im geringsten. Ich hatte nur wieder Hoffnung …

Im August 2014 war ich also eine Woche in Wuppertal beim Meisterkurs. Ich merkte wieder einmal woran es bei mir flötistisch haperte. Nicht nur wegen des Vergleichs mit den anderen Flötist*innen, sondern weil Dirk ein sehr ehrlicher und direkter Lehrer ist. Das ist gut so! Manchmal halt ein bisschen „in you face“ – aber man weiß woran man ist. Mir wurde klar: „Oh, da gibt es noch viel Arbeit!“. Allerdings war ich schockverliebt in Dirk als Lehrer. Ich lernte so unglaublich viel, schon in dieser einen Woche und erinnere mich noch sehr gut an den Moment, als ich aus einem Unterricht rauskam, durch das Treppenhaus spazierte und vor dem großen Spiegel im 2.Stock stehen blieb und mir sagte: „An dieser Hochschule wirst du studieren. Hier bist du richtig. Bei Dirk bist du richtig. Nächstes Jahr um diese Zeit habe ich hier einen Studienplatz!“ – ich bekomme gerade Tränen in die Augen, wenn ich daran denke, denn eines war ganz klar: Ich musste verdammt hart arbeiten, um diese verflixte Prüfung zu bestehen. Ein langer Weg lag vor mir, aber ich wusste was das Ziel war.

Ich übte mir die Finger wund, erarbeitete alleine über ein Jahr Zoom Tube von Ian Clarke (mein persönliches Schicksalsstück) – wäre ich doch nur früher damit zu Carin gegangen, dann hätte ich nicht solange gebraucht – weil ich wusste, wo meine Stärken lagen. Bei Mozart und einem schönen Ton lagen sie zu diesem Zeitpunkt nicht. Aber in der Performance und in Solostücken, da lag bereits damals mein Potential begraben und wie sich später rausstellte auch in der zeitgenössischen Musik.

Im Juni 2015 spielte ich die Aufnahmeprüfung in Köln. Eins kann ich euch sagen, ich bin fast gestorben vor dieser Prüfung. Ich wollte sie so sehr bestehen. Was ich nicht wusste, Dirk hatte mich im Blick und zwar seit dem Musiksommer im vorherigen Jahr. Nachdem ich eine Telemann Fantasie gespielt hatte, mit schlechtem Ton, aber mit Musikalität, Leidenschaft und einer Leichtigkeit auf der Bühne, die Dirk total überzeugte. Er sagte mir einige Zeit später in meinem Studium: „Ich dachte mir, wenn du das kannst, bekommen wir den Rest auch noch hin!“

Ich spielte in dieser Prüfung Zoom Tube und dann Telemann. Zoom Tube war der Hammer und Telemann eine absolute Vollkatastrophe. Danach dachte ich erst mal: das war’s, das war jetzt dein Studienplatz, du hast es verkackt. Ich ging runter und holte mir erstmal einen Kaffee (in den ich gerne noch ein Schluck hochprozentiges gekippt hätte) und wartete auf meinen Zug. Eine Stunde später kam Dirk runter und wir unterhielten uns kurz. Ich machte mich auf ein „Danke, aber leider nein“ gefasst. Er erzählte mir zuerst wie geil Zoom Tube ankam, dass wir am „Telemann noch ein bisschen arbeiten müssten“ und stellte mir die Frage, ob ich denn bei ihm studieren wollen würde in Wuppertal … „JA! Natürlich! Sonst wäre ich ja nicht hier.“

Er grinste und sagte ganz nüchtern: „Na super. Dann hast du den Platz.“ Wie? Was? Moment, ich hab bestanden? Ich darf wirklich in Wuppertal studieren? Ich konnte es nicht glauben! Natürlich musste ich noch Klavier und die Nebenfächer bestehen eine Woche später, aber da war in Anbetracht meiner vergangenen Studienjahre das kleinste Problem.

Anfang Juli erhielt ich einen Brief, indem man mir den Studienplatz anbot mit der Bitte um Bestätigung. Ihr könnt euch vorstellen wie sehr ich geweint habe vor Freude. Ich hatte es geschafft. Ich hatte mir das Ziel gesetzt im August 2014 und im Juli 2015 hielt ich den Zettel in der Hand. Glaubt mir eins: alles ist möglich, wenn man es nur will und dafür hart arbeitet, manchmal braucht man ein bisschen Glück und die richtigen Personen, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Meine Person hieß Dirk – Schicksal eben …

Ich fuhr in dem Jahr noch einmal zum Musiksommer nach Wuppertal, diesmal bereits mit der Gewissheit ab Oktober dort studieren zu dürfen. Ich bereitete dort meinen Abschluss in Mainz vor, denn auch da war es wieder wie nach dem Abitur. Am 17.09.2015 spielte ich mein Abschlusskonzert in Mainz und am 01.10.2015 begann mein Studium in Wuppertal.

In dem Meisterkurs lernte ich bereits meine wundervollen Studienkollegen kennen mit denen ich die letzten Jahre verbracht habe. Changhuan Xia (links) und Leonardo Pedroza (rechts) – 13.08.2015

Ich durfte in diesem Musiksommer im Abschlusskonzert im großen Saal der Historischen Stadthalle vorspielen. Welches Stück? Natürlich: Zoom Tube! Das gibt es sogar als Video auf YouTube. Es war, wie im Jahr zuvor, eine sehr lehrreiche Woche und eine optimale Vorbereitung auf den Abschluss, bzw. auf den Beginn meines Studiums bei Dirk. Mein Examenskonzert am 17.09.2015 lief sehr gut, ich schloss mein erstes Studium in Mainz in fünf statt sechs Semestern ab, damit ich pünktlich in Wuppertal starten konnte. Mein letztes Semester in Mainz bestand also aus einem Haufen Prüfungen, Lehrproben, einer 30-Seitigen Examensarbeit und meinem Abschlusskonzert und zwischen all dem auch noch die Aufnahmeprüfung in Köln. In diesen Monaten lernte ich mal wieder auf’s Neue mein extrem gutes Zeitmanagement und meine gute Planung zu schätzen, anders wäre das auch nicht möglich gewesen.

Mein erstes Studium war somit vorbei, ich zog nach Wuppertal und begann am 01.10.2015 meinen ‚Bachelor of Music‘ in Wuppertal.

Nach dem Studium musste allerdings zuerst mal eine kleine, aber feine Veränderung her.

Fortsetzung folgt…

2 Kommentare zu „17 Semester später (Teil 1)

  1. Sehr interessant! Eine Frage, du wurdest ja so gut mit Instrumentalpädagogik (und was dazu gehört) Literatur und so versorgt, kannst du uns da vielleicht auch Mal was empfehlen?

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